SP-X/London.
London – Peking – New York: Drei Metropolen, die dem Autofahrer eigentlich jede Freude am Fahren austreiben. Stundenlanges Stop-and-Go auf dem Weg zur Arbeit gehört für die Pendler aus den Vorstädten hier zum Alltag. Zwanzig, dreißig Kilometer können hier verdammt lang werden. Und teuer.
Genau darum zelebriert BMW die Weltpremiere seines Elektroautos i3 zeitgleich genau in diesen drei Megacities. Denn hier soll der Stadtwagen seine Stärken ausspielen – und den Kunden den Glauben an die Vorzüge der Mobilität ohne fossile Brennstoffe einimpfen. Norbert Reithofer gibt sich da als Prophet des neuen Auto-Zeitalters alle Mühe.
Der BMW-Chef weiß schließlich, dass Wohl und Wehe des i3 wesentlich auch den Erfolg des gesamten Unternehmens bestimmen. Schließlich hat der Konzern viele hundert Millionen Euro in Entwicklung der eigenen Elektromotoren, Carbonfaser-Produktion und den entsprechenden Umbau der Fertigungen in Leipzig, Wackersdorf und Dingolfing investiert. „Herausgekommen ist eine Revolution für die Industrie – und ein echtes Funcar für den Kunden“ – nicht weniger verspricht der Konzernchef.
Optisch setzt sich das erste Modell der neuen Submarke deutlich von allen anderen BMW- und Mini-Produkten ab. Stets zweifarbig wird es den vier Meter kurzen i3 ab November geben. Fronthaube und Fensterbereich sind dabei in schwarz gehalten, Dach und untere Hälfte in der gewählten Wagenfarbe. Die B-Säule schwingt mit der hinteren Tür auf. Auch nachts ist BMWs Elektro-Revoluzzer an blau leuchtenden Elementen rund um die Niere an der Front, den Einstiegsleisten und den Logos vorn und hinten schon von weitem erkennbar. Die mächtigen 19-Zoll-Räder geben dem Wagen ein Alleinstellungsmerkmal, wie Chefdesigner Benoit Jacob sagt: „Wir Gestalter können es gar nicht groß genug haben.“ Mit nur 155-Breite sind die Reifen dennoch Energiesparer. Um Effizienz geht es schließlich an jeder Ecke des i3.
Zunächst eine Sitzprobe. Und die fällt wirklich premium aus: Fahrer und Beifahrer haben Platz wie in einem weit größeren Van, auch für Kopf und die Arme. Besonders luftig fühlt sich der Frontpassagier durch den vorne komplett fehlenden Mitteltunnel. Dadurch entsteht ein Gefühl wie auf einer Auto-Frontsitzbank der fünfziger Jahre.
Gestaltung und Materialien im Inneren erfreuen Augen und Hände. Der gewichtsparende Hightech-Werkstoff Carbon ist zu sehen und eine breite waagerechte Holzleiste, die auf dem Armaturenbrett mit seinen zwei Bildschirmen zu schweben scheint. „Lounge-Atmosphäre“ nennt Jacob das. Und Produkt-Planer Manuel Sattig spricht von „mehr Platz als im Dreier“. Stimmt – vorne zumindest.
Wer sich durch die gegenläufig öffnenden Hintertüren und über eine breite Stolperschwelle auf die Rückbank windet, tankt erst einmal weniger Loungeerfahrung. Allerdings sitzt es sich sogar hinten im i3 ganz ordentlich und mit reichlich Raumhöhe. Die tief heruntergezogenen rahmenlosen Fenster sorgen zudem für optische Weite. Kurze Sitzauflagen und ein kleiner Fußraum zeigen aber, dass auch BMW nicht hexen kann.
Das gilt auch für den rund 200 Liter fassenden Kofferraum, der zwar eine ebene Ladefläche aufweist – selbst wenn die Rücksitze umgelegt werden. Die Einkäufe müssen aber über eine hohe Kante gewuchtet werden.
Stattlich stehen sie da, die i3 auf der Premierenfeier in den Megacities. Wie echte Angreifer in ihrem Fahrzeugsegment. Doch die konventionell angetriebenen Konkurrenten haben immer noch drei gewaltige Vorzüge: 1. Ein Auto vergleichbarer Größe gibt es für rund ein Drittel des i3-Basispreises von 34.950 Euro – gut ausgestattet und mit einem sparsamen Downsizing-Benziner. 2. Mit solch einer Sparbüchse kann der Käufer locker 500 Kilometer fahren – und an jeder dritten Ecke bei Bedarf nachtanken. Und das – 3. in fünf Minuten.
Im i3 kostet das Aufladen der Lithium-Ionen-Akkus zwar nur einen Fünfer – dauert aber an der Haushaltssteckdose bis zu acht Stunden. BMW startet deshalb mit dem i3 auch viele neue Geschäfte, die bisher nicht zur Kerntätigkeit gehören. Das wichtigste Ziel dabei: dem potenziellen Kunden Ängste nehmen. Vor allem davor, mit dem Elektroauto liegen zu bleiben, wenn die Energie ausgeht. Das kann bereits nach 120 Kilometern geschehen, wenn der Kunde mit allem Klima-Komfort, BMW-typischer Sportlichkeit und ohne aufpreispflichtigem Range-Extender-Benzinmotor unterwegs ist.
Darum investieren die Bayern derzeit massiv in Ladesäulen in den Großstädten der wichtigsten Länder für das neue Weltauto – und beteiligen sich an Netzwerken solcher Anbieter. Jeder i3-Fahrer wird in einem Infodisplay stets über die nächste Station auf dem Laufenden gehalten. Denn sein Fahrzeug ist dank einer eingebauten Mobilfunk-Karte immer online. Dieser Service ist wie der eingebaute Notruf e-call Standardausstattung.
Überhaupt kommt der i3 dem Charakter „smartphone auf Rädern“ so nah wie kein zweites Auto. Denn der Fahrer kann mit einer Vielzahl von Apps sein Auto ähnlich wie ein modernes Handy aufrüsten.
Dadurch eröffnet BMW den i3-Kunden Zugang zu einem Mobilitätspaket. „Das wünschen sich Kunden in den Großstädten“, so Reithofer. Der nächste Parkplatz, die nächste Bushaltestelle, die nächste Ladestation, der nächste Autoverleih – alles im Navi (gegen Aufpreis) und auf der passenden Handy-App (gratis), alles mit Partnern aus verschiedenen verkehrsnahen Branchen vereinbart. Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte Smart so eine Art integriertes Mobilitätskonzept schon einmal versprochen – und große Schwierigkeiten mit der Umsetzung. BMW startet deshalb einige Services auf eigene Faust und verhandelt darüber hinaus eifrig mit Verkehrsbetrieben rund um die Welt. Etwa, damit der Fahrer zu Hause das Ziel auswählen kann, mit dem i3 bis zum passenden Park-and-Ride-Platz gelotst wird, wo schon ein Stellplatz an der Ladesäule reserviert ist. Dann geht’s mit dem online bereits bezahlten U-Bahn-Ticket zum City-Ziel. BMW glaubt fest an die Zukunft solch „intermodaler Mobilität“.
Beim ganz normalen BMW-Händler wird der Kunde den BMW der Zukunft übrigens nicht kaufen können. Die Münchener haben erst einmal die Vertriebspartner herausgefiltert, die mehr als 100.000 Euro für Präsentation, Wartung und Vermarktung aufbringen sollen. Ein paar Dutzend werden es etwa in Deutschland sein, meist werkseigene Niederlassungen. Denn das Fahrzeug ist natürlich sehr erklärungsbedürftig. Zudem sind Werkstoffe wie die Karosse aus Carbon eben nicht von jedem Händler zu reparieren. Auch ein Prophet des neuen Autozeitalters bleibt eben erst einmal: ein Auto.
Foto: BMW